Komplementär- und Alternativmedizin
CAMbrella, das EU-geförderte Forschungsnetzwerk für Komplementär-
und Alternativmedizin (CAM), präsentierte im September 2012 die
Ergebnisse seiner dreijährigen Arbeit in der Vertretung des Freistaats
Bayern bei der Europäischen Union in Brüssel. Die CAMbrella-Forscher
bestätigen, dass das Wissen, das Angebot und die Regulierung der
Komplementärmedizin (CAM) in Europa sehr unterschiedlich sind und dass
CAM ein stark vernachlässigtes Forschungsgebiet ist.
Europa ist,
verglichen mit den finanziellen und strukturellen CAM-Investitionen zur
Forschungsförderung in den Vereinigten Staaten, Asien und Australien,
im Hintertreffen. Eine zentrale und koordinierte Forschungsanstrengung
ist daher dringend erforderlich, um das Wissen über dieses
Medizingebiet zu verbessern.
Die CAMbrella-Gruppe fordert daher
ein koordiniertes gesamteuropäisches Vorgehen, und hat Vorschläge dazu
in der “Roadmap for European CAM research” erarbeitet.
Die Nachfrage
nach CAM in Europa ist groß: Das CAMbrella-Projekt stellte fest, dass
bis zu 50 Prozent der europäischen BürgerInnen auf CAM Methoden
benutzen. In seinem Referat bei der Abschlusskonferenz in Brüssel sagte
der Projektkoordinator Dr. Wolfgang Weidenhammer vom Kompetenzzentrum
für Komplementärmedizin und Naturheilkunde des Klinikums rechts der
Isar der TU München: “Die Bürger sind der Motor für CAM. Ihre
Bedürfnisse und Meinungen sind die Schlüsselpriorität; wir müssen die
Interessen der europäischen BürgerInnen besser kennen und sie in der
Forschung stärker berücksichtigen.”
Mehr als 150.000 Ärzte mit einer
Zusatzqualifikation in CAM und mehr als 180.000 nichtärztliche
Therapeuten praktizieren CAM-Methoden in Europa; d.h. es gibt etwa 65
CAM-Anbieter pro 100.000 Einwohner verglichen mit ca 95 Ärzten pro
100.000 Einwohnern – allerdings unterscheiden sich die gesetzlichen
Rahmenbedingungen für die Ausübung von CAM in allen 39 europäischen
Ländern. Prof. Vinjar Fønnebø von der Universität Tromsø, Norwegen
kommentiert: “Gesundheitsanbieter müssen ihren Patienten und Klienten
sichere Dienstleistungen anbieten können. Das gegenwärtige Chaos bei
Ausbildungen und Rahmenbedingungen für CAM macht dies sehr schwierig”.
Massive Datenlücken für CAM in Europa
Europa
hat sich bisher nur unzureichend mit diesem Feld der Medizin befasst.
Verwertbares Wissen über die Verbreitung von CAM als
Medizindienstleistung für die europäischen Bürger und Patienten ist
größtenteils nicht vorhanden. Weder sind in den meisten europäischen
Ländern bisher die Bedürfnisse der BürgerInnen in Bezug auf das
CAM-Angebot erhoben worden noch gibt es gesichertes Wissen über die
Situation der Anbieter.
Was ist CAM?
CAM
ist ein Sammelbegriff für Behandlungsmethoden, die meist außerhalb der
konventionellen Medizin in Anspruch genommen werden. Methoden wie
Phytotherapie, Homöopathie, Manuelle Therapien (Massage, Osteopathie und
Reflexologie) oder Akupunktur, um nur die Bekanntesten zu nennen,
werden in der Behandlung chronischer Erkrankungen, Krankheitsprävention
und der Gesundheitsvorsorge angewandt. CAM umfasst aber auch in einigen
europäischen Ländern weniger bekannte Methoden wie z.B. anthroposophisch
erweiterte Medizin, klassische Naturheilverfahren oder Neuraltherapie.
Forderungen an die EU: „Roadmap for European CAM research“
Die
CAMbrella-Gruppe fordert die EU auf, europäische
CAM-Forschungsprogramme und -initiativen zu implementieren, die die
generell unklare Situation dieses Gebietes ins Auge fassen und sich an
den tatsächlichen medizinischen Versorgungsbedingungen in Europa
orientieren, wie Prof. Dr. Benno Brinkhaus vom Institut für
Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie an der Charité -
Universitätsmedizin Berlin und Leiter der Arbeitsgruppe Roadmap,
ausführt: „Wenn CAM ein Teil der Lösung der Probleme im
Gesundheitssystem sein soll, die in den kommenden Jahren auf uns
zukommen, müssen wir dringend zuverlässige Informationen über
Wirksamkeit, Sicherheit und Kosten in den realen Versorgungsbedingungen
sammeln und analysieren. “
Die Projektgruppe schlägt die
Errichtung eines europäischen Zentrums für CAM vor, das die von
CAMbrella empfohlene Forschungsstrategie berücksichtigt. Ein solches
Zentrum würde den Forschern die Beantwortung der drängendsten Fragen
möglich machen: Wer benutzt CAM in Europa und wofür? Welche CAM
Methoden versprechen den größten Nutzen für die zentralen
Gesundheitsprobleme Fettleibigkeit, Diabetes und Krebs? Wie kann die
Sicherheit von Patienten gewährleistet werden? Welche Bedürfnisse haben
EU-Bürger? Welche Chancen und Risiken bestehen bei der Integration von
CAM in konventionelle Behandlungspläne? Was ist bei der Planung eines
einheitlichen, wissenschaftsbasierten Vorgehens und bei der
koordinierten Verbreitung der Ergebnisse in alle Bereiche der
EU-Öffentlichkeit zu beachten?
„Die Vision von CAMbrellas Roadmap
ist es, zu einer evidenzbasierten Grundlage beizutragen, die den
europäischen Bürgern und Politikern ermöglicht, fundierte
Entscheidungen zu CAM zu treffen“ fasst Prof. Dr. Benno Brinkhaus die
Ziele des Projekts zusammen.
„Dem CAMbrella Projekt kommt somit eine
zentrale Bedeutung für die Komplementärmedizin und die
Gesundheitsversorgung in Europa zu“, resümiert der Projektleiter Dr.
Weidenhammer „es kommt nun darauf an, die Ideen und Vorschläge
umzusetzen und dazu bedarf es dringend einer europäischen Förderung“.
Anmerkungen
1.
“CAM” steht für “Complementary and Alternative Medicine”. CAM setzt
sich zunehmend auch im deutschsprachigen Raum als gängige Abkürzung
für Behandlungsverfahren durch, die nicht dem Mainstream der Medizin
zuzuordnen sind.
2. In CAMbrella haben 16 Partnerinstitutionen
aus 12 europäischen Ländern zusammen gearbeitet, und die „Roadmap zur
Europäischen CAM-Forschung“ entwickelt. Die Roadmap soll sowohl die
Bedürfnisse
der europäischen Bürger berücksichtigen als auch eine brauchbare
Arbeitsgrundlage für das EU-Parlament, die nationalen Fördergeber sowie
CAM-Stakeholder bilden.
3. Die CAMbrella-Gruppe besteht aus
akademischen Forschungsgruppen und vertritt keine einzelnen CAM-Methoden
oder Anbieterinteressen.
4. CAMbrellas Ziel bestand darin,
aussagekräftige, vergleichende Forschung und Kommunikation innerhalb
Europas zu ermöglichen sowie die Schaffung einer nachhaltigen Struktur
und Richtlinien für CAM in Europa zu unterstützen. Die EU-Kommission
förderte das Projekt seit Januar 2010 im 7. Forschungsrahmen-programm
mit rund 1,5 Millionen Euro.
5. Da aus den meisten europäischen
Mitgliedsstaaten keinerlei Daten zu den Fragestellungen von CAMbrella
vorliegen, konnte nur etwa die Hälfte der insgesamt 39 Mitgliedsstaaten
und assoziierten Länder herangezogen werden.
6. Phytotherapie /
Kräutermedizin war die am häufigsten berichtete CAM-Methode.
Erkrankungen des Bewegungsapparates (muskuloskeletale Erkrankungen) sind
der am häufigsten genannte Grund für den therapeutischen Einsatz von
CAM.
7. Alle vom Projekt erstellten Dokumente werden ab Dezember
2012 laufend auf der Website: http://www.cambrella.eu/documents
veröffentlicht. Wenn Sie über neue Uploads informierte werden wollen,
können Sie sich hier registrieren: http://www.cambrella.eu/newsletter
Dr.
Dr. Wolfgang Weidenhammer ist stellvertretender Leiter des
Kompetenzzentrums für Komplementärmedizin und Naturheilkunde (KoKoNat;
Leitung: Prof. Dr. Dieter Melchart) am Klinikum rechts der Isar der TU
München. Er koordinierte das Gesamtprojekt CAMbrella.
Prof.
Vinjar Fønnebø ist der Direktor des Norwegischen Forschungszentrums für
CAM an der Universität Tromsø. In CAMbrella hat er die Arbeitsgruppe zu
CAM-Regulierung und gesetzlichen Rahmenbedingungen in Europa geleitet.
Prof.
Benno Brinkhaus ist Oberarzt, Leiter der Hochschulambulanz am Standort
Mitte und stellvertretender Leiter des Projektbereichs
Komplementärmedizin am Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und
Gesundheitsökonomie, Charité - Universitätsmedizin Berlin. Im CAMbrella
Projekt hat er die Arbeitsgruppe „Roadmap“ geleitet.
Kontakt
Für
detaillierte Informationen sowie eine Zusammenfassung der
Schlüsselaussagen des Projekts kontaktieren Sie bitte Bettina Reiter,
Wiener Internationale Akademie für Ganzheitsmedizin per E-Mail: media@cambrella.eu