Psychische Stigmatisierung
„Das gibt sich schon alles mit deiner Hautkrankheit, spätestens nach
der 1. Schwangerschaft.“ „Das liegt bestimmt an deinen Zähnen, das mit
deinem Hautleiden, deshalb solltest du dir die Zähne am besten ziehen
lassen.“ „Du ernährst dich einfach falsch, probier` doch mal aus, das
und jenes… wegzulassen.“ „Dein Hautleiden ist doch rein psychisch
bedingt… da kann dir nur ein Seelenklempner helfen.“ „Irgendwas machst
du falsch, dein Stressmanagement lässt echt zu wünschen übrig. Daran
bist du selber schuld.“ „Bei dir muss dieses oder jenes…in der Kindheit
vorgefallen sein…“
Als Hautbetroffener einer chronischen
Hautkrankheit wie Neurodermitis, Rosazea oder Vititligo muss man sich im
Laufe seines Lebens eine Menge angeblich kluger und gut gemeinter
Ratschläge – wie eben beschrieben – anhören. Doch wie schützt man sich
als Betroffener vor solchen Stigmatisierungen bzw. Klischees und
Vorurteilen?
Subjektives Schubladendenken
Ein
jeder Mensch ist tagtäglich als sein eigner Alltagspsychologe
unterwegs. Man sucht nach Orientierung und Halt, um Angst und
Unsicherheit zu reduzieren; dabei sind eigene „Alltagsweisheiten“ über
das Leben, sich selbst und die Mitmenschen subjektiver Natur. Denn sie
beruhen nur auf eigenen subjektiven Erfahrungen, die unzulässig
verallgemeinert werden. Diese „Alltagsweisheiten“ sind methodisch nicht
systematisch gewonnen und deshalb aus wissenschaftlicher Sicht nicht
haltbar (vgl. Hobmair „Psychologie“). Ludovico Ariosto sagte treffend:
„Der Ungebildete glaubt das, was ihm passt.“ D.h. die sogenannte eigene
Menschenkenntnis erweist sich nicht unbedingt als guter Ratgeber im
Leben.
Schnell kommt es auf diese Weise zu Klischees über gewisse
Sachverhalte und zu Vorurteilen anderen Menschen gegenüber. Im Falle von
chronischen Hauterkrankungen wie Neurodermitis, Rosazea und Vititligo
kommt es auf diesem Wege zu Stigmatisierungen und infolge zu
Diskriminierungen der Betroffenen.
Belastende Etikettierungen
Unabhängig
davon, welche chronische Erkrankung ein Mensch in seinem Rucksack durch
sein Leben tragen muss, ihm begegnen viele belastende Etiketten oder
Stempelaufdrucke in seiner Umwelt. Man erhält ein Krankheitsetikett, mit
dem die Menschen alltagspsychologische und damit unwissenschaftliche,
nicht haltbare, subjektive Erkenntnisse verbinden. Oftmals wird dieses
Stigma, also diese Zuschreibung, zu einer weiteren Belastung. Denn es
kann viele unsachliche Folgen haben. Man wird beispielsweise am
Arbeitsplatz diskriminiert, z.B. nach dem Motto „Ihhh, ist das
ansteckend?“, in der Freizeit von Aktivitäten fälschlicherweise
ausgeschlossen, z.B. „Damit können Sie unmöglich das Schwimmbad
besuchen.“, oder von Menschen schlichtweg gemieden. Stigmatisierung und
Diskriminierung stehen also in engem Zusammenhang und bedeuten für den
Hautbetroffenen neben seiner Hauterkrankung an sich weitere Belastungen.
Ben Hecht äußerte diesbezüglich: „Das Vorurteil ist ein Floß, an das
sich der schiffbrüchige Geist klammert.“
Stigmatisierungen konstruktiv begegnen
Wie
begegnet man solchen unwissenschaftlichen Alltagsweisheiten als
Hautbetroffener? Wie schafft man es, andere aufzuklären, ohne sich dabei
rechtfertigen zu müssen? Wie schützt man sich selbst vor emotionalen
Folgen, sich z.B. ungerecht und mies behandelt zu fühlen? Wie sorgt man
gut für sich in Situationen der Stigmatisierung und Diskriminierung,
damit die unfairen Aussagen anderer einen selbst gefühlsmäßig nicht
herunterziehen?
Piet Hein sagte einmal, Subjektivität bedeute, eine
Sonnenuhr mit Hilfe einer Taschenlampe abzulesen. Sich selbst in diesen
Situationen zu verdeutlichen, wie unwissenschaftlich Mitmenschen nach
Orientierung und „Pseudosicherheit“ im Alltag suchen, kann ein erster
Schritt sein. Menschen streben auch immer wieder nach Vergleichen mit
anderen, und fühlen sich oftmals besser (wenn auch pseudomäßig), wenn
sie sich selbst aufwerten, in- dem sie andere abwerten. Dabei wird
deutlich, dass Menschen in dieser Situation kein gesundes
Selbstwertgefühl besitzen, denn sonst hätten sie derartige Vergleiche
gar nicht nötig. Der Mensch krankt in diesem Falle an einem ungesunden,
überzogenen Ego. Man könnte auch sagen, ein gesundes Selbst hat
natürliche Bedürfnisse, ein überzogenes Ego stellt übertriebene
Ansprüche und Vergleiche. (vgl. Van der Bourg „Das Conscientische
Polaritätsmodell)
Ein weiterer Schritt kann es sein, den
Menschen, die derartige Alltagsweisheiten äußern, aus einer
wissenschaftlichen Haltung heraus zu begegnen und sie mit entsprechenden
Gegenfragen wissenschaftlich auszuhebeln: „Wie groß war die Stichprobe,
wie wurde sie zusammengestellt, wer hat die Untersuchung finanziert, wo
wurde sie veröffentlicht, wer hat sie begutachtet, und konnten die
Ergebnisse von einem anderen Forscherteam bestätigt werden?“ (aus Eckart
von Hirschhausen „Wohin geht die Liebe, wenn sie durch den Magen durch
ist?“) Auf diese Weise verdeutlichen sie, dass wissenschaftliche Befunde
repräsentative und damit allgemeingültige Aussagen wiedergeben, die man
auch in der Realität überprüfen und methodisch wiederholen kann. Diese
Aussagen sind nicht subjektiver Natur, wenn auch andere Forscher zu
gleichen Ergebnissen kommen würden, da das Vorgehen methodisch
systematischer Natur ist. (vgl. Hobmair „Psychologie“)
Auf diese
Weise sorgen Sie auch dafür, dass Sie Ihre eigene Stimmung nicht von den
Äußerungen anderer bestimmen lassen. Denn Sie selbst sind für Ihre
Stimmung verantwortlich und können entscheiden, ob Sie sich von
Alltagsweisheiten anderer „verstimmen“ lassen möchten.
Trotz allem
muss man sich als Hautbetroffener klar machen, dass sich Vorurteile
hartnäckig halten. Albert Einstein gab entsprechend zu bedenken: „Es ist
leichter, einen Atomkern zu spalten als ein Vorurteil.“ Auf diese Weise
schützen Sie sich vor falschen Erwartungen Mitmenschen gegenüber, die
weiter an Alltagsweisheiten festhalten.
Gesundheitsgurus
Aber
nicht nur von Mitmenschen werden Alltagsweisheiten geäußert, nein, sie
begegnen den Hautbetroffenen auch auf der Suche nach
Linderungsmöglichkeiten des eigenen Hautleidens. Eckart von Hirschhausen
beschreibt in seinem Buch „Wohin geht die Liebe, wenn sie durch den
Magen durch ist?“ sogenannte „Prinzipien“, derer sich „Scharlatan, Guru,
Weisheitslehrer“ „unglaublich erfolgreich“ bedienen, ohne sich dabei
auch nur allzu „lange mit Fakten“ aufzuhalten.
Mit Prinzip 1 „Der
Prophet gilt nichts im eigenen Lande!“ weist von Hirschhausen darauf
hin, dass Gurus gern den Kulturkreis wechseln oder fremde bzw. exotische
Ideen übernehmen.
Das Prinzip 2 „Neueste Erkenntnisse“ verdeutlicht,
dass Gurus ihre angeblichen Weisheiten möglichst derart formulieren,
sodass sie keiner verstehen kann.
Nach Prinzip 3 „Uralte Erkenntnisse“ suchen Gurus, altes Wissen „vor dem Aussterben“ zu bewahren.
Mittels
Prinzip 4 „Die Schulmedizin lehnt es ab.“ symbolisieren Gurus, „keine
Zeit mit aufwendigen Studien, Placebo- und Wartegruppen“ vergeuden zu
wollen. Sie handeln nach dem Motto: „Selbst von etwas überzeugt zu sein
ist viel überzeugender.“
Schließlich könnte man sich auch Prinzip 5 bedienen: „Die Reichen und Schönen wenden es heimlich schon seit Jahren an.“
Nach
Prinzip 6 „Verschiedene Modelle“ wird Gurus empfohlen, unterschiedliche
Wege zur Vermarktung ihres Produkts bzw. ihrer Behandlungsweise „auf
dem Heilermarkt“, beispielsweise in Form von Vorträgen,
Wochenendseminaren o. Ä. zu etablieren.
Und schließlich besagt
Prinzip 7: „Wenn das Verfahren nichts bewirkt, ist der Anwender schuld.“
So ist man dann als Guru immer fein raus.
Solche, Jene und Karierte…
Die
Prinzipien, derer sich Scharlatane, Gesundheitsgurus und andere
angebliche Heiler gerne bedienen, sollen verdeutlichen, wie wichtig es
ist, als Hautbetroffener zwischen subjektiven Alltagsweisheiten und
wissenschaftlich gewonnenen Befunden zu unterscheiden. Auf dem
Gesundheitssektor tummeln sich eben Solche, Jene und Karierte, und der
Hautbetroffene trägt für sich selbst die Verantwortung, welchen
möglichen Behandlungswegen er nachgeht.
Eine kleine Anekdote zum
Abschluss verdeutlicht noch einmal diesen Sachverhalt: In einem
Cartoon stehen zwei, in Forscherkittel gekleidete Personen auf dem Dach
eines Hauses. Der eine hält eine Katze in der Luft, auf deren Rücken ein
Marmeladenbrot geschnallt ist. Dieser sagt zum anderen, dass Katzen ja
immer auf die Beine fallen und Marmeladenbrote immer auf die
Marmeladenseite. Es äußert weiter, dass nichts interessanter wäre, als
ein Marmeladenbrot auf dem Rücken einer Katze zu befestigen und ein
Experiment aus luftiger Höhe zu starten. Der andere entgegnet, dass ihm
das Brot leid täte.
Dipl-Psch. Sonja Dargatz