Wie Entspannung aussehen sollte

Mit einer chronischen Hauterkrankung zu leben, stellt die Betroffenen im Laufe ihres Lebens immer wieder vor neue Herausforderungen. Eine Balance im Leben zu finden ist jedoch nicht nur für Betroffene von chronischen Hauterkrankungen alles andere als leicht, denn tagtäglich begegnen uns allen vielfältige Aufgaben und Stressoren; die einen Aufgaben fordern uns heraus, wir erleben positiven Stress, sog. Eustress; die anderen überfordern uns, infolge spüren wir negativen Stress, sog. Distress. Und auch Unterforderung kann den Menschen belasten.

Das wechselseitige Spiel von An- und Entspannung

Das Leben des Menschen von heute braucht das Zusammenspiel von an- und entspannenden Phasen. Niemand von uns sollte die gesamte „Wachzeit“ eines Tages nur in Anspannung verbringen. Phasen der Anspannung sollen also regenerative Phasen folgen, um infolge eine erneute Anspannungsphase möglich zu machen. Dieses Wechselspiel kennzeichnet den Rhythmus des menschlichen Daseins.

An- und Entspannung im Fokus allgemein

Der Mensch wird heute als ganzheitliches Wesen gesehen, in ihm hängen Körper, Seele und Geist wechselseitig voneinander ab. Untrennbar sind also Körper, Seele und Geist zu sehen. Übertragen wir diese Sichtweise des Menschen auf das Zusammenspiel von An- und Entspannung, so wird deutlich, dass man auch hier weiter differenzieren muss. Diese „Dimensionen von Anspannung und Entspannung“ beschreiben Hans Bernhard und Josef Wermuth in ihrem Buch „Stressprävention und Stressabbau“ (Beltz, 1. Auflage, 211). Demnach unterscheiden sie zwischen körperlicher, emotionaler sowie kognitiver An- und Entspannung. D. h. das Zusammenspiel von An- und Entspannung sollte unter dem Gesichtspunkt der drei eben genannten Dimensionen reflektiert werden, wenn anhaltender oder wiederkehrender Stress dem Menschen zusetzt.

An- und Entspannung im Fokus einer chronischen Hauterkrankung

Vergleichen wir zunächst das Leben eines Hautbetroffenen mit dem eines Hautgesunden: Beide brauchen die tägliche Herausforderung genauso wie die Entspannungsphasen eines Tages. Beide können durch vielfältigste Stressoren herausgefordert oder bzw. und von negativen Stressoren belastet werden. Von außen gesehen kann man das Leben eines Hautgesunden oftmals nur schwer einschätzen, vor allem im Hinblick darauf, wie belastet dieser ist. Lebensbedrohliche oder chronische Erkrankungen sind nicht immer offenkundig erkennbar. Hier wird also ein Unterschied deutlich, denn in mehr oder weniger andauernden Phasen seines Lebens ist der Hautbetroffene nach außen durch seine Haut von seiner Erkrankung gekennzeichnet. Dies kann als negativer Stressor wirken.

Ist beispielsweise die Haut an den Händen oder im Gesicht durch die Erkrankung im Aussehen verändert, können kognitive Prozesse den Betroffenen belasten: Er könnte sich unattraktiv bis hin zu entstellt fühlen, er könnte sich Gedanken darüber machen, wie es weitergehen solle, wenn diese „Kennzeichnung“ bliebe. Es könnte auch dazu führen, dass der Betroffene darüber grübelt, ob er auf der Suche nach einem Arbeitsplatz abgelehnt werden könnte. Ähnliche belastende Gedanken können auch auftreten, wenn derjenige sich Sorgen darüber machen würde, ob er von einem potenziellen Lebenspartner abgewiesen werden könnte. An diesen wenigen Beispielen wird die gedankliche, d. h. die kognitive Anspannung deutlich. Erkennt man diese kognitive Belastung an sich selbst als Hautbetroffener, ist es also umso wichtiger, sich selbst zu fragen, wie man für gedankliche Entlastung, d. h. kognitive Entspannung sorgen kann. Der Betroffene könnte sich fragen, mit welchen Strategien er diese Gedankenspirale im Alltag durchbrechen könnte. Er könnte weiter hinterfragen, wie er bisher mit Sorgen und Ängsten in seinem Leben umgegangen ist, und eben diese Strategien ggf. auf die vorliegende Situation übertragen. Er sollte sich fragen, wie ihm bisher im Leben gedankliche Ablenkung gelungen ist. Auch könnte er sich Unterstützung in einer Selbsthilfegruppe suchen oder darüber hinaus eine psychologische Beratung in Anspruch nehmen, um dysfunktionale Gedankengänge bei sich zu identifizieren und diese in einem weiteren Schritt durch funktionale Überzeugungen und Gedankenmuster zu ersetzen. Denn ein Problem fortwährend und ununterbrochen zu durch- und „zerdenken“, liefert in den seltensten Fällen eine gute Grundlage für die Entwicklung von Strategien zum Umgang mit dem Problem. Natürlich garantiert dieses Vorgehen nicht, keine Ablehnung im Alltag, auf dem Arbeits- oder Partnermarkt zu erfahren. Aber es trägt dazu bei, sich nicht auf Dauer in kognitiven Teufelskreisläufen festzufahren und die eigene Energie zu verschwenden, sodass gedankliche Entspannung kaum noch möglich würde.

Ebenso anhaltende emotionale Anspannung kann eine chronische Hauterkrankung mit sich bringen: Der Betroffene kann sich unglücklich fühlen, weil er möglicherweise damit hadert, warum gerade er von dieser Erkrankung betroffen ist. Er kann ängstlich sein, (weitere) Ablehnung in seinem sozialen Umfeld zu erfahren, er kann sich darin überfordert fühlen, mit dieser Erkrankung nach dem ersten Auftreten auch leben zu lernen. Infolge spürt der Betroffene emotionale Anspannung. Emotionale Entspannung wird dringend nötig, denn ein gelassener und konstruktiver Umgang mit einer chronischen Hauterkrankung braucht eben diese. Zu erleben (lernen), dass auch trotz einer chronischen Krankheit der Haut Lebensfreude möglich ist, ist der Beginn auf dem Weg, emotionale Entspannung in das Leben eines hautbelasteten Menschen zu bringen. Er muss wieder spüren, dass er trotzdem entspannende Momente erleben kann, dass er Entspannungsverfahren erlernen kann, die ihm auf Dauer mehr innere Ruhe ermöglichen, dass er Hobbies und Kontakte pflegen sollte, weil gerade diese für Ablenkung, zeitvergessene Stunden und Glücksmomente sorgen können. Auch sinnvolle Tätigkeiten können zu mehr emotionaler Entspannung beitragen. Hier sollte also der Hautbetroffene für sich selbst Wege suchen und entdecken.

Die körperliche Anspannung im Leben eines Hautbetroffenen ist nicht zu unterschätzen. Betroffene schildern neben den erlebten, oftmals quälenden Symptomen der jeweiligen Hauterkrankung, sich im eigenen Körper von der Hauterkrankung malträtiert zu fühlen, gar der Erkrankung nicht entkommen zu können. Infolge wird eine weitere Zunahme der körperlichen Anspannung deutlich. Das eigene Körpergefühl nimmt mehr und mehr negative Formen an. Und spätestens jetzt sollte sich der Betroffene fragen, wie er selbst für mehr körperliche Entspannung in seinem Leben beitragen kann. Gibt es beispielsweise favorisierte sportliche Aktivitäten, die für Ablenkung und Spannungsabbau sorgen? Gibt es Plätze am Wohnort, die man aufsuchen könnte, um durchzuatmen oder sich dort zu bewegen? Gibt es etwas, was man mit jemandem zusammen unternehmen könnte, um sich in Gesellschaft zu bewegen, abzulenken und Spannung abzubauen?

Das eigene Leben in die Hand nehmen

Ganz gleich, was den hautbetroffenen Menschen aus dem Inneren heraus oder von außen belastet, er selbst kann, ggf. mit Unterstützung, Strategien entdecken und in seinem Leben etablieren, die ihm guttun. Und genau das stellt einen Schritt auf dem Weg aus der erlebten Hilflosigkeit durch die chronische Hauterkrankung dar. Denn letztlich hat jeder von uns nur dieses Leben, jeder trägt seinen Rucksack, und jeder sollte für sich Momente in seinem Alltag finden, in denen er entspannen kann, mal körperlich, mal emotional, mal kognitiv. Die Summe vielfältigster entspannter Momente und Phasen im Alltag ist es doch, die uns hilft zu lernen, mit einer chronischen Hauterkrankung zu leben und sich nicht die Lebensfreude nehmen zu lassen. Man könnte auch sagen: „Jetzt erst recht sorge ich gut für mich, jetzt erst recht tue ich mir Gutes!“

von Dipl.-Psych. Sonja Dargatz

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